Die Nachricht war ein Schock für uns: Onkel Egon will sein Leben beenden.
Onkel Egon war schon immer ein sehr eigensinniger Mensch. Wir haben so manche Debatte mit ihm geführt. Auch bei Familienfesten, selbst zu Weihnachten, diskutierte er mit großem Elan umstrittene Themen.
Ja, wir wussten, dass er schon lange Mitglied in einem Sterbehilfeverein war.
Dennoch war es ein Schock, als er uns mitteilte, dass er im nächsten Monat sein Leben beenden werde. Schon lange hatte er darüber nachgedacht, das alles mit sich allein ausgemacht und entschieden. Seine Frau war vor 10 Jahren gestorben, Kinder hatte er keine und wir Nichten und Neffen waren seine nächsten Angehörigen.
Als wir davon erfuhren, gab es einen Aufstand unter uns. Endlose Telefonate, schließlich trafen wir uns an einem Wochenende alle bei Onkel Egon und versuchten ihn umzustimmen. Eigentlich hätte es uns klar sein müssen, dass er sich nicht umstimmen lässt. Aber immerhin erklärte er uns, dass er schon lange merke, wie ihn seine Kräfte immer mehr verlassen. Der Alltag ist mühsam, auch wenn eine Haushaltshilfe die täglichen Arbeiten erledigt. Die Vorstellung, dass er bald auch beim Anziehen, Waschen, Rasieren und Duschen Hilfe braucht, dass er vielleicht nicht mehr ohne Hilfe die Wohnung verlassen kann, war für ihn entsetzlich.
Onkel Egon erzählte uns zum ersten Mal ausführlich von seinen Besuchen bei einem alten Kollegen im Pflegeheim. Einmal die Woche ging er dort hin und die beiden erzählten von alten Zeiten, als die Welt noch anders aussah und beide fit und voller Tatkraft waren. Onkel Egon sah, dass es auch für ihn bald so weit sein würde, dass er in ein Pflegeheim umziehen musste. „Nein, auf keinen Fall!“ Er war immer sein eigener Herr und so sollte es auch bleiben.
Ein friedlicher Abschied
Langsam legte sich unsere Aufregung. Nach und nach begann ich ihn zu verstehen und ließ den Gedanken zu, dass er bald nicht mehr da sein würde. Was für ein komisches Gefühl, wenn man genau weiß, an welchem Tag jemand sterben wird.
Onkel Egon hat mich gefragt, ob ich bei seinem letzten Schritt bei ihm sein würde und ich habe zugestimmt. Mit Herzklopfen und einem mulmigen Gefühl bin ich einen Tag vorher zu ihm gefahren. Wir wollten den letzten Abend zusammen verbringen. Die Haushälterin hatte für uns gekocht. Es gab Wein. Dann hörten wir Musik, und plötzlich waren wir uns so nah wie noch nie. Ich fragte Onkel Egon, ob er Angst habe. „Nein, ich bin mit mir im Reinen. Ich hatte ein schönes Leben. Was jetzt noch kommt, würde immer schwerer für mich. Am Ende wäre ich in einem Zustand, in den ich nie kommen möchte.“
In der Nacht konnte ich kaum schlafen. So viele Erinnerungen gingen mir durch den Kopf. Als es dann soweit war und Onkel Egon den letzten Schritt tat, als er eine Infusion in Gang setzte, war ich einfach nur wie gefangen, von der Ruhe, die von ihm ausging. Mit einem entspannte Gesicht schlief er ein, wenig später hörte er auf zu atmen. Ich hielt seine Hand und wie aus weiter Ferne hörte ich die Ärztin sagen: „Sein Herz steht still. Er hat es geschafft. Mein herzliches Beileid“.
Ich bin froh, dass ich den Mut hatte, Onkel Egon bei seinem Sterben zur Seite zu stehen. Ich werde diesen friedlichen Moment in Erinnerung behalten und das tröstet mich sehr.
Die Nichte Frau Sophie F. aus N. erzählt die Geschichte ihres Onkels.